Nina Haller und Peter Kabel über das rasante Tempo der KI Transformation in der Kommunikationsbranche und wie das neue GWA KI Whitepaper Agenturen und Werbungtreibenden dabei hilft.
Am 6. März ist das neue 100 Seiten starke KI Whitepaper des GWA erschienen. Verfasst wurde es von einem neunköpfigen Autor*innenteam unter Leitung von Nina Haller, GWA Vorständin, Sprecherin des GWA Forum Technologie & Innovation sowie CMO von Experience One, sowie von Prof. Peter Kabel, Seriengründer (unter anderem Kabel New Media, Trendbüro, Büro Hamburg, Lakshmi) und Multivorstand. Im Interview sprechen sie über die Diskrepanz zwischen Wissen und Einsatz von KI, über eine fundamentale Neuordnung der Kommunikationsbranche und erklären, warum KI Dienstleister nicht abschafft.
Warum habt Ihr nach 2023 jetzt ein neues KI-Whitepaper aufgelegt?
Nina Haller: Seit der Veröffentlichung unseres ersten KI-Whitepapers im Sommer 2023 hat sich die Technologie mit atemberaubender Geschwindigkeit weiterentwickelt. Wie wir im Vorwort schreiben, hat die Entwicklungsgeschwindigkeit selbst unsere hohen Erwartungen übertroffen. Wir erleben aktuell eine industrielle Revolution, die sich im Gegensatz zur ersten industriellen Revolution nicht über Jahrzehnte erstreckt, sondern in wenigen Monaten vollzieht. KI befindet sich am Übergang vom Experiment zur Umsetzung – der Mainstream-Moment ist jetzt. Diesen Zeitpunkt wollten wir nutzen, um der Branche eine aktuelle Orientierung und Diskussionsräume zu geben und konkrete Handlungsempfehlungen für die KI-Integration zu liefern.
Peter Kabel: Die rasante Entwicklung generativer KI, mit beinahe täglich neuen Quantensprüngen, ist unübersehbar. Agenturen und Werbetreibende erkennen die grundlegende Bedeutung dieser Technologie, experimentieren mit Pilotprojekten, zögern jedoch, diese in regelmäßige Anwendungen zu überführen. Gründe hierfür sind die Technologiekomplexität, Risiken bei Datenqualität und Urheberrechten sowie die erforderliche Anpassung von Geschäftsmodellen. Es herrscht ein Spannungsfeld zwischen Innovation und Bewahrung. Die Zurückhaltung vieler Marktteilnehmer, die GenAI teilweise als vorübergehende Modeerscheinung sehen, erfordert eine umfassende Aufklärung. Daher sehen wir es als zentrale Aufgabe des GWA, über die Potenziale und eine verantwortungsvolle Integration von KI in die kreative Wertschöpfungskette zu informieren.
Wer sind die wichtigsten Zielgruppen des neuen KI-Whitepapers?
Nina Haller: Unsere Hauptzielgruppen sind Führungskräfte und Entscheider:Innen in Agenturen und Marketingabteilungen, die vor der Herausforderung stehen, KI strategisch in ihre Prozesse zu integrieren. Das Whitepaper richtet sich aber auch an Kreative, Strategen und Projektmanager, die täglich mit KI-Tools arbeiten. Besonders wichtig ist uns, dass wir sowohl große als auch kleine Agenturen ansprechen – denn unabhängig von der Unternehmensgröße stellen sich ähnliche Fragen: Wie integrieren wir KI in unsere Workflows? Wie schulen wir Mitarbeiter? Wie entwickeln wir neue Geschäftsmodelle? Unser Ziel ist, allen Akteuren der Kommunikationsbranche einen Kompass für die Navigation durch diese transformative Phase an die Hand zu geben.
KI entwickelt sich massiv in alle Bereiche von Gesellschaft und Wirtschaft. Eure Fokus liegt auf der Kommunikationsbranche. Welche sind aus Eurer Sicht die drei wichtigsten Kernbotschaften des KI-Whitepapers?
Peter Kabel: Das Dokument hat 100 Seiten und fasst die Gedanken und Diskussionsprozesse zusammen. Es wäre schade, hier nur drei Kernthesen liefern zu können. Doch die drei zentralen Kernbotschaften lassen sich wie folgt zusammenfassen. Erstens: KI führt zu revolutionären Effizienzgewinnen – Prozesse werden dramatisch beschleunigt und optimiert. Zweitens: Die Marktbedürfnisse verändern sich grundlegend – Hyperpersonalisierung, Echtzeitinteraktion und veränderte Kundenansprüche fordern neue Ansätze. Und Drittens: Es erfolgt eine disruptive Neuordnung der Wertschöpfungsketten – traditionelle Vermittlerrollen werden infrage gestellt und neue hybride Modelle entstehen.
Nina Haller: Ergänzend zu Peters Punkten möchte ich drei weitere zentrale Botschaften hervorheben: KI verändert die Rolle von Agenturen fundamental – vom klassischen Dienstleister zum Orchestrator und strategischen Partner, der Kreativität und Technologie nahtlos verbindet. Es entstehen komplett neue Rollenbilder und Kompetenzanforderungen – von Prompt Engineers über AI Strategists bis hin zu Synthetic Experience Designern. Die Zukunft gehört hybriden Modellen – durch KI gewonnene Effizienz ist kein Widerspruch zu kreativer Exzellenz, sondern ihre Voraussetzung. Die Symbiose von menschlicher Kreativität und KI-Unterstützung wird zum Erfolgsmodell.
Wie gut seht Ihr die Agenturen in Deutschland bereits für die KI-Revolution gerüstet oder anders gefragt: Was müssen Agenturen schleunigst nachholen?
Nina Haller: Unsere Mitgliederbefragung zeigt eine bemerkenswerte Diskrepanz: 79% der Agenturen schätzen sich als “fortgeschritten” im Umgang mit KI ein, doch nur 17% setzen fortgeschrittene Anwendungen ein. Diese Selbstüberschätzung ist gefährlich. Was Agenturen jetzt dringend nachholen müssen: Erstens den systematischen Aufbau von KI-Kompetenz über alle Hierarchieebenen hinweg – nicht nur in Tech-Teams. Zweitens die strategische Neupositionierung mit innovativen Dienstleistungen und Geschäftsmodellen, die den veränderten Marktbedürfnissen entsprechen. Und drittens die Entwicklung neuer Vergütungsmodelle, die den Mehrwert KI-gestützter Prozesse angemessen abbilden. Der Zeitdruck ist real – wer jetzt nicht handelt, wird schnell den Anschluss verlieren.Peter Kabel: Obwohl laut Mitgliederbefragung viele Agenturen sich selbst als „fortgeschritten“ einstufen, zeigt sich in der Praxis, dass nur ein Bruchteil bereits fortgeschrittene KI-Anwendungen im Regelbetrieb nutzt. Agenturen müssen vor allem in den Aufbau von internem Know‑how, zielgerichtete Schulungsprogramme sowie die Etablierung klarer ethischer und organisatorischer Richtlinien investieren, um die Lücke zwischen Selbstwahrnehmung und tatsächlicher Implementierung zu schließen und dadurch auch für Kunden attraktive trusted Adviser werden zu können.
Für wen ist das rasante Tempo der KI-Revolution in der Kommunikationsbranche eigentlich die bessere Nachricht – für Agenturen oder für werbungtreibende Unternehmen?
Nina Haller: Die KI-Revolution bietet sowohl für Agenturen als auch für Werbungtreibende immense Chancen, aber aus unterschiedlichen Gründen. Für Werbungtreibende bedeutet KI mehr Effizienz, schnellere Markteinführungen und potenziell höhere ROIs. Agenturen hingegen erhalten die Chance, sich neu zu erfinden und ihre Rolle als strategische Partner zu stärken. Wer jetzt aktiv die KI-Transformation gestaltet, kann ein völlig neues Wertversprechen entwickeln: nicht mehr nur als Umsetzer, sondern als Orchestrator komplexer KI-gestützter Kommunikationslösungen. Das erfordert jedoch Mut zur Veränderung und Investitionen in neue Kompetenzen. Letztlich gewinnen jene, die KI nicht als Bedrohung, sondern als Katalysator für Innovation verstehen – unabhängig davon, ob sie auf Agentur- oder Kundenseite stehen.
Peter Kabel: Für all diejenigen, die sich frühzeitig und guten Mutes mit Generative AI beschäftigen. Für Kunden, Agenturen und auch die Konsumenten. Die Schnellen werden sich strategische Positionen sichern und durch den Einsatz von GenKI bessere, effizientere Kommunikationsmaßnahmen erstellen und die Nutzer werden ihre Bedürfnisse besser berücksichtigt sehen.
Ein Kapitel des neuen GWA KI Whitepapers stellt schon im Titel die Frage “Die Abschaffung der Dienstleister”? Wie lautet Eure Antwort: Schafft KI die Dienstleister ab?
Nina Haller: Nein, KI schafft Dienstleister nicht ab – sie definiert radikal neu, was ein wertvoller Dienstleister ist. Die klassische Rolle als reiner Umsetzer oder Content-Produzent wird tatsächlich durch Automatisierung unter Druck geraten. Gleichzeitig entstehen jedoch neue, höherwertige Aufgabenfelder: Als Navigatoren durch die komplexe KI-Landschaft, als Kuratoren von KI-generierten Inhalten und als Architekten hybrider Mensch-Maschine-Workflows. Wie wir im Kapitel detailliert analysieren, erfordert dies ein tiefgreifendes Umdenken. Statt “entweder KI oder Dienstleister” lautet die Zukunftsformel “KI durch und mit Dienstleistern”. Agenturen müssen sich jedoch aktiv neu positionieren und ihre Expertise transformieren, um in dieser neuen Landschaft relevant zu bleiben.Peter Kabel: Künstliche Intelligenz ersetzt Dienstleister nicht vollständig, sondern transformiert deren Rolle in grundlegender Weise. Wie im Kapitel „Auslaufmodell Dienstleister? Disintermediation & Dezentralisierung“ erläutert, verändert der zunehmende Einsatz von KI traditionelle Vermittlungsfunktionen: Aufgaben, die zuvor manuell oder von Dienstleistern ausgeführt wurden, lassen sich automatisieren. Doch gleichzeitig entsteht ein Bedarf an neuen Kompetenzen. Dienstleister müssen sich neu erfinden, indem sie komplexe, KI-gestützte Prozesse orchestrieren und strategische Beratungsleistungen anbieten. Diese Entwicklung führt zu einer Neuverteilung von Rollen und Anforderungen, wobei die menschliche Komponente – insbesondere in den Bereichen Kreativität und strategischer Steuerung – weiterhin unersetzlich bleibt.
Ihr schreibt auch in dem KI Whitepaper von einer grundlegenden Neuordnung der Kommunikationsbranche. Könnt Ihr in fünf Sätzen sagen, wie diese aussehen wird?
Nina Haller: Die fundamentale Neuordnung der Kommunikationsbranche wird durch vier transformative Kräfte getrieben: revolutionäre Effizienzgewinne, radikal veränderte Marktbedürfnisse, disruptive Neuordnung von Wertschöpfungsketten und demokratisierende Dezentralisierung. KI ermöglicht eine beispiellose Personalisierung in Echtzeit, wobei Inhalte nicht mehr manuell für jeden Kanal erstellt, sondern intelligent adaptiert und optimiert werden. Die Grenzen zwischen Kreation, Produktion und Distribution verschwimmen, wodurch die gesamte Branche agiler und datengetriebener wird. Kleinere, spezialisierte Teams können dank KI mit etablierten Playern konkurrieren, was zu einer vielfältigeren und innovativeren Agenturlandschaft führt. Letztlich entsteht ein neues “Betriebssystem der Kommunikation”, in dem diejenigen erfolgreich sein werden, die Technologie und Kreativität nahtlos verbinden können.Peter Kabel: In fünf Sätzen zur grundlegenden Neuordnung der Kommunikationsbranche: KI wird die gesamte Wertschöpfungskette von der Ideenfindung bis zur Distribution grundlegend transformieren. Dabei verschmelzen technische Automatisierung und kreative Prozesse zu einem integrierten, hybriden Workflow. Traditionelle Rollen werden aufgebrochen und es entstehen neue Jobprofile, die technisches Know-How mit strategischem Denken vereinen. Die Trennung zwischen Planung, Kreation und Umsetzung wird zunehmend fließender, da KI als Ko-Pilot agiert. Letztlich wird die Branche durch diesen Wandel noch agiler, effizienter und kundenorientierter arbeiten.
Nach fünf Sätzen bitte noch ein kurzer Ausblick auf die nächsten fünf Jahre: Wie wird die Kommunikationsbranche 2028 aussehen? Wie werden sich die Jobrollen in Agenturen und bei Werbungtreibenden verändert haben?
Nina Haller: In den nächsten Jahren wird sich die Kreativbranche in ein faszinierend symbiotisches Ökosystem verwandeln, in dem Menschen und KI-Systeme auf völlig neue Weise zusammenarbeiten. Menschliche Kreativität wird nicht verdrängt, sondern verstärkt – durch KI, die als Sparringspartner fungiert, ungewöhnliche Verbindungen aufzeigt und kreative Grenzen erweitert. Die emotionale Intelligenz des Menschen, sein kulturelles Verständnis und seine Fähigkeit, echte Resonanz zu erzeugen, werden wertvoller denn je. Die spannendste Entwicklung sehe ich in der Entstehung kollaborativer Kreativumgebungen, in denen KI-Agenten als eigenständige Teammitglieder mitwirken – nicht als passive Tools, sondern als aktive Co-Kreatoren, die durch menschliche Anleitung zu echten kreativen Höchstleistungen fähig werden. Die nächste Generation von Kreativschaffenden wird in dieser hybriden Welt aufwachsen und völlig selbstverständlich zwischen menschlicher und maschineller Kreativität navigieren, um Werke zu schaffen, die wir uns heute noch nicht einmal vorstellen können und in ein paar Jahren ist diese wilde Diskussion um KI ausdiskutiert und commodity – genauso wie das Internet.
Peter Kabel: Die Kommunikationsbranche wird sich weiter in Richtung einer hybriden Organisation entwickeln, in der KI-Systeme Routineaufgaben automatisieren und den strategischen Input der Menschen ergänzen. Die Jobrollen in Agenturen und bei Werbetreibenden wandeln sich: Fachkräfte werden vermehrt zu KI-Strategen, während operative Tätigkeiten zunehmend automatisiert werden. Mitarbeiter müssen sich kontinuierlich weiterbilden, um den Umgang mit neuen Technologien zu meistern. Unternehmen, die frühzeitig in KI-Kompetenzen investieren, werden einen deutlichen Wettbewerbsvorteil haben. Insgesamt wird sich die Branche dynamisch neu ausrichten – mit einer stärkeren Fokussierung auf datengetriebene Entscheidungen und agile, technologiegestützte Arbeitsweisen. Aber auch in fünf Jahren werden noch Menschen Kommunikation ersinnen und umsetzen für Menschen, deren Aufmerksamkeit das wertvollste Gut ist und bleibt.
Das neue GWA KI Whitepaper 2025 gibt es zum kostenlosen Download unter: gwa.de/ki-paper